EU-Kommission stellt neuen Gesetzesentwurf vor – Massenüberwachung mit Rechtsgrundlage?

Die EU-Kommission hat kürzlich einen Gesetzesentwurf vorgestellt, durch den sexualisierte Gewalt und Missbrauch von Kindern im Internet künftig mithilfe von Software effektiver bekämpft werden soll. Politiker und Datenschützer fürchten bei dem Vorschlag der Kommission eine legitimierte Massenüberwachung.

Der Grund für den Gesetzesentwurf ist der rasante Anstieg von Missbrauchsdarstellungen und Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs. Ende letzten Monats wurde über die Auswertung der Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik 2021 ein Anstieg von 108, 8 Prozent auf über 39.000 Fälle bekannt. Bereits seit einigen Jahren steigen diese Zahlen – von Delikten, die der Polizei bekannt geworden und durch sie ausermittelt worden sind. Die Dunkelziffer, Straftaten von denen die Polizei keine Kenntnisse hat, ist nach Einschätzung der Behörden weitaus höher. Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, spricht von der Entwicklung Europas zu einem Drehkreuz der Missbrauchsdarstellungen, ihr stelle sich die Frage „ob wir den gigantischen Mengen, die im Internet angeboten werden, überhaupt noch etwas entgegensetzen können“.

Reaktion der EU-Kommission

Die Dringlichkeit der Sache dürfte jedem bei diesem Thema mit einem Blick auf die Zahlen bewusst sein. Die Kommission hat daher beschlossen, auf die Lage mit einem neuen Gesetz zum Schutz von Kindern zu reagieren. Die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, kündigte bei einer Pressekonferenz ein Gesetz an, welches „beispiellos und hart daherkommt“. Veröffentlichte Missbrauchsdarstellungen im Internet ermöglichen eine umfassendere Strafverfolgung – an diesem Punkt setzt das Gesetz an. Hierzu sollen die Anbieter von Online-Diensten in die Pflicht genommen werden. Durch deren Mithilfe soll erneutes Auftauchen von Material verhindert werden, zudem sollen Täter schnell und sicher identifiziert und verfolgt werden können. Das Internet soll also von den Anbietern selbst besser durchleuchtet werden, um Straftaten aufzudecken, Material zu melden und zu entfernen. Dieser Ansatz wurde bereits in den vorangegangenen Jahren verfolgt, die Dienste sollten auf freiwilliger Basis ihre Inhalte scannen. Da hier zum Teil die Rechtsgrundlage für einen solchen Eingriff in die Privatsphäre der Nutzer nicht gegeben war und die Aufforderung auch nur von wenigen Diensten wahrgenommen wurde, soll das neue Gesetz beiden Punkten entgegenwirken.

Vorschriften und Adressaten des Gesetzesvorschlags

Die neuen Vorschriften sollen jene EU-Anbieter betreffen, durch deren Plattformen Straftätern neue Möglichkeiten der Kontaktaufnahme eröffnet werden, insbesondere Hosting-Dienste und interpersonelle Kommunikationsdienstleister. Dem Nationalen Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder (NCMEC) zufolge, werden Kinder zunehmend über die sozialen Medien, Gaming-Plattformen und Chats geködert – der Weg wird für Straftäter vereinfacht, was zu dem Anstieg der dokumentierten Fälle beiträgt.

Dienste wie Google, Facebook, WhatsApp und Co. sollen also durch ihre tragende Funktion zur Aufklärung beitragen, indem sie mithilfe von Software ihre Dienste kontrollieren. Sie sollen dafür das Risiko für die Verbreitung von Material und einer Kontaktanbahnung („Grooming“) mithilfe von Erkennungstechnologien bewerten. Durch die Einrichtung einer neuen EU-Agentur sollen die Indikatoren zentral festgelegt und eine einheitliche Identifizierung sowie Meldung an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden gewährleistet werden.

Welche Technologie konkret genutzt werden soll, geht aus dem Gesetzesvorschlag jedoch nicht hervor. Klar ist, dass auch verschlüsselte Inhalte kontrolliert werden sollen, da Tätern die Möglichkeit genommen werden soll, diesen Weg für weitere Darstellungen zu missbrauchen. Es ist anzunehmen, dass die Technologie für die Dienste frei wählbar bleibt, solange sie gewissen Anforderungen entspricht. Laut eines Presseartikels der EU-Kommission soll der Eingriff in die Privatsphäre dabei möglichst gering sein, dem Stand der Technik in der Branche entsprechen und die Fehlerquote geringstmöglich ausfallen. Es ist von strengen Schutzvorkehrungen in der Aufdeckung die Rede, allerdings wird nicht beschrieben, wie man gedenkt dies um- bzw. durchzusetzen.

Kritik von vielen Seiten

Der Gesetzesentwurf stößt seit seiner Veröffentlichung auf viel Kritik, von Politikern, Bürgerrechtlern sowie Datenschützern. Wie eine Massenüberwachung erfolgreich verhindert werden kann, scheint an vielen Stellen unklar zu sein. Besonders heftig wird kritisiert, dass diese Themen zu wenig Beachtung finden und der Gesetzesvorschlag somit nicht mit der EuGH-Rechtsprechung vereinbar sei. Stefan Brink, der Landesdatenschutzbeauftragte in Baden-Württemberg, betitelte den Vorschlag der Kommission als freiheitsfeindlich und einen massiven Eingriff in die Bürgerrechte. Der Konflikt mit dem Schutz privater Kommunikation müsse gelöst werden, bevor es zu einem solchen Gesetz kommen sollte.

Fazit

Es besteht dringender Handlungsbedarf beim Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt im Internet. Bevor jedoch dazu ein Gesetz verabschiedet wird, welches große Eingriffe in verschlüsselte Kommunikation und die Privatsphäre jedes Bürgers mit sich bringt, sind mit Sicherheit Konfliktlösungen und die Umsetzung der Regelungen zu diskutieren. Der Gesetzesentwurf hat es bisher noch nicht in die nächste Runde geschafft. Es bleibt abzuwarten, wie die Kommission mit der heftigen Kritik umgehen wird und welche Änderungen tatsächlich auf uns zukommen.


Quelle: Pressemitteilung der EU-Kommission vom 11.05.2022: Kampf gegen Kindesmissbrauch: Kommission präsentiert Gesetzesvorschlag zum Schutz von Kindern


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