BAG zu Videoüberwachung am Arbeitsplatz – Arbeitgeber muss Bildmaterial nicht sofort auswerten

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt hat entschieden, dass Aufnahmen einer offenen und rechtmäßigen Videoüberwachung von Mitarbeitern für eine Kündigung und im Kündigungsprozess verwertet werden dürfen, auch wenn die Aufnahmen nicht unverzüglich gesichtet wurden. Die Entscheidung des BAG können hier in der Pressemitteilung nachlesen.

Im Verfahren ging es um die Kündigung einer Arbeitnehmerin, die während ihre Anstellung Waren entwendet und Geld unterschlagen hat. Der Arbeitgeber bemerkte die Pflichtverletzung der Kassiererin nach Durschichtsicht des Videomaterials von den vier im Verkaufsraum offenen Videokameras. Die Aufzeichnungen dienten der Sicherung des Eigentums im Ladengeschäft vor Straftaten von Kunden sowie Auftragnehmern. Die Sichtung des Materials erfolgte jedoch erst sechs Monate nach der Aufzeichnung. Der genauere Sachverhalt lässt sich dem Urteil des LAG Hamm entnehmen.

Schwerpunkt des Verfahrens war die Frage, ob die lange Speicherung der Aufnahmen dem damalig gültigen Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) widerspricht und daher ein Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorliegt.

Bemerkenswert an diesem Fall ist, dass das Gericht bestätigt hat, dass die Sichtung der Videoaufnahmen aus der Überwachung nicht unverzüglich erfolgen muss. Aufgrund der Aufzeichnung der schwerwiegenden Pflichtverletzung der Arbeitnehmerin wurde die außerordentliche Kündigung ausgesprochen.

Das BAG geht davon aus, dass die Sichtung von gespeicherten Videoaufnahmen ausreicht, wenn ein berechtigter Anlass besteht. Der Gedanke des Arbeitsrechts wird in der Entscheidung des BAG fortgeführt, dass erst bei ernsthaften Verdachtsmomenten Ermittlungen aufgenommen werden dürfen. Ohne einen Verdachtsmoment ist der Arbeitgeber nicht gehalten, unverzüglich die Videoaufnahmen zu sichten oder ggf. schon vorher zu löschen. Dem Arbeitsgeber wird die Möglichkeit der Prüfung durch die längere Speicherfrist nicht verwehrt, wenn er die Rechtsverstöße erst zu einem späteren Zeitpunkt bemerkt und vorher auch nicht bemerken müsste.

Laut BAG widerspricht dies auch nicht den Prinzipien des Datenschutzes. Die lange Speicherdauer kann nicht als einziges Argument für die Rechtswidrigkeit der Aufnahmen angeführt werden. Vielmehr muss das Persönlichkeitsrecht des Arbeitsnehmers gegen die Interessen des Arbeitsgebers in Verhältnis gesetzt werden. Bei der Verhältnismäßigkeit geht das Gericht gerade nicht von einer stärkeren Gewichtung des Datenschutzes aus. Vielmehr würde die Gewichtung zu Gunsten des berechtigten Interesses des Arbeitsgebers ausgehen, schwerwiegende Pflichtverletzungen festzustellen. Das Urteil hat aber nicht zur Folge, dass die Speicherung jetzt zeitlich uferlos vorgenommen werden kann.

Während die Vorinstanzen dem Datenschutz eine stärke Rolle zugeteilt haben, relativierte das BAG die Rolle des Datenschutzes und mahnt, ihn nicht „ausufern“ zu lassen.

Abgestellt wurde in den Vorinstanzen darauf, dass die lückenlose Überwachung ohne Anlass und die Sammlung von Videoaufnahmen im gesamten Arbeitsbereich, einen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmerin darstellt und dadurch unverzüglich ausgewertet und gelöscht werden sollten. Sobald nicht eine zeitnahe Überprüfung erfolgte, sei die Verwertung der Videoaufnahmen rechtswidrig.

Die Entscheidung des BAG ist nicht zuletzt aufgrund der inzwischen gültigen DSGVO zu hinterfragen. Das Gericht betont zwar, dass auch die Vorschriften der seit dem 25. Mai 2018 geltenden DSGVO einer gerichtlichen Verwertung des Bildmaterials im weiteren Verfahren nicht entgegenstünden. Insbesondere mit Blick auf den Grundsatz der „Datenminimierung“ (Art. 5 Abs. 1 Buchstabe f) ließe sich das aber auch anders beurteilen. Zudem ist fraglich, wie die Speicherdauer der Daten im Rahmen der Informationspflichten des Arbeitgebers gegenüber den Mitarbeitern im Sinne der DSGVO ausreichend transparent (Art. 12) beschrieben werden sollen: Die Speicherung der Daten „bis ein berechtigter Anlass zur Auswertung besteht“, dürfte im Sinne der Transparenz kaum ausreichen.

Der Arbeitgeber hat weiterhin die Verpflichtung den Datenschutz und die Grundsätze der DSGVO zu befolgen. Insbesondere sollten Arbeitgeber nicht nur auf ein einziges Beweismittel, wie Videoüberwachung zurückgreifen. Es sollten immer so genannte mildere Mittel eingesetzt werden, wenn alternativen Maßnahmen mit einem geringen Verletzungsrisiko des Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer vorhanden sind. (mb)

Quellen:

Bund Verlag.de vom 24. August 2018: BAG erleichtert Videoüberwachung

Datenschutzbeauftragter-info.de vom 24. August 2018: BAG vertritt lockere Ansicht zur Videoüberwachung

Pressemitteilung Nr. 40/18: Offene Videoüberwachung-Verwertungsverbot