Ab jetzt Gesichtserkennung per Kamera – Umstrittenes Pilotprojekt im Bahnhof Berlin-Südkreuz geht an den Start

Die Technik ist höchst umstritten: Mit Hilfe von Überwachungskameras und einer intelligenten Software, die Gesichter von Fahrgästen automatisch erkennen kann, soll es möglich werden, Straftaten und Gefahren schon im Vorfeld zu erkennen und so verhindern zu können.

Mehr als 250 Testpersonen hatten sich im Juni für eine sechsmonatige Testphase gemeldet. Von den Probanden wurden Lichtbilder angefertigt und in eine Datenbank eingepflegt, so dass die Bilder, die von den Überwachungskameras geliefert werden, mit denen in der Datenbank abgeglichen werden können. Jetzt startet die eigentliche Testphase.

Von Datenschützern scharf kritisiert
Maja Smoltczyk, Datenschutzbeauftragte des Landes Berlin, hat das Pilotprojekt zur Gesichtserkennung am Bahnhof Berlin-Südkreuz scharf kritisiert. Anders als bei konventioneller Videoüberwachung, könnten Passanten durch biometrische Gesichtserkennung „nicht nur beobachtet, sondern zugleich auch identifiziert werden“, sagte sie gegenüber dem rbb. Das verfassungsrechtliche verbriefte Recht, „sich unbeobachtet und anonym in der Öffentlichkeit zu bewegen“, werde auf diese Weise „nachhaltig gefährdet“.

Außerdem sei eine flächendeckende Einführung der Gesichtserkennung nicht erlaubt, weil es dafür zurzeit in Deutschland keine gesetzliche Grundlage gebe, erklärt die oberste Datenschützerin des Landes Berlin. Auch die im Mai 2018 gültige EU-Datenschutz-Grundverordnung setze der Technik enge Grenzen: „Dort wird die biometrische Technik grundsätzlich ausgeschlossen und nur unter ganz engen Voraussetzungen für zulässig erachtet.“

Nicht weniger kritisch ist der gemeinnützige Verein „Digitale Gesellschaft“. Gegenüber dem rbb übt der Verein, in dem sich Bürgerrechtler und Verbraucherschützer zusammengeschlossen haben, scharfe Kritik an dem Pilotprojekt. Geschäftsführer Volker Tripp sagte dem rbb, die Gesichtserkennung sei ein tiefer Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Computerprogramme, die Gesichtszüge erfassen und mit anderen Daten vergleichen, könnten nach Auffassung von Volker Tripp auch dazu verwendet werden, um Verhaltens- und Bewegungsanalysen zu erstellen. Die Folgen für unbescholtene Bürger seien so schwerwiegend, dass die Belastungen wesentlich größer seien, als das, was man dadurch gewinnen könnte, kritisiert Tripp.

Innenminister de Maizière verteidigt das Verfahren
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verteidigte das Verfahren gegen die Kritik von Datenschützern. „Unsere öffentlichen Plätze müssen sicher sein“, erklärte der CDU-Politiker in Berlin. Videoüberwachung leiste dazu einen wichtigen Beitrag. Sie schrecke ab und helfe bei der Aufklärung von Straftaten. Außerdem stärke sie das Sicherheitsbefinden der Bürger.

Anders als de Maizière rechnet der Deutsche Anwaltverein nicht mit einem höheren Sicherheitsempfinden durch diese Art von Videoüberwachung, sondern mit einem „nicht hinnehmbaren Gefühl des Überwachtwerdens und der Einschüchterung“.

Der Ex-Abgeordnete der Piratenpartei im Berliner Abgeordnetenhaus und jetziges SPD-Mitglied Christopher Lauer zweifelte zudem am kriminalistischen Nutzen der Gesichtsrekennung: Bei drei Millionen Passagieren am Tag würde schon eine gering erscheinende Fehlerquote von eins zu einer Millionen in Berlin zu drei Fehlalarmen am Tag führen. Ginge es nach der „nutzlosen Überwachungstechnik“, so Lauer laut FAZ, müsste London „die sicherste Stadt der Welt sein“. Das sei aber nicht der Fall.

„Weiße“ Bereich nicht überwacht
Ganz „ausgeliefert“ sind Besucher des Bahnhofs den Kameras nicht. Zum einen wird die Gesichtserkennung nur in der Westhalle des Bahnhofs getestet. Die Bahnsteige bleiben also von der Überwachung verschont. Zum anderen sind die überwachten Bereiche mit blauen Aufklebern extra markiert. Dort wo die Kameras nicht filmen, sind die Aufkleber weiß. Dieser Bereich ist jedoch deutlich kleiner als der blaue. (fl)

Quellen:

Welt Online vom 01.08.2017: De Maizière verteidigt Gesichtserkennung gegen Kritik von Datenschützern

netzpolitik vom 01.08.2017: Ortstermin am Südkreuz: Die automatische Gesichtserkennung beginnt