Berliner Beauftragte für Datenschutz: 10 Gründe gegen Videoüberwachung

Das Bürgerbündnis für mehr Videoaufklärung und mehr Datenschutz hat einen Gesetzesentwurf für ein „Artikel-Gesetz für mehr Sicherheit und mehr Datenschutz in Berlin“ vorgestellt, über den in einem Volksbegehren entschieden werden soll. In einer Pressemitteilung vom 13. September 2017 nennt die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Maja Smoltczyk folgende 10 Gründe, warum Berliner Bürgerinnen und Bürgern das Bündnis für mehr Videoaufklärung nicht unterstützen sollten.

1. Mit Datenschutz hat das nichts zu tun!
Das Bündnis gibt als eines seiner Hauptanliegen vor, den Datenschutz beim Einsatz von Videoüberwachungstechnik verbessern zu wollen. Ein Blick in den Gesetzesentwurf zeigt jedoch, dass das Gegenteil der Fall ist. Überwachungsmaterial soll zunächst in verfassungsrechtlich anfechtbarer Weise anlasslos auf Vorrat gespeichert werden. Durch sog. intelligente Techniken soll tiefer als bisher in das Persönlichkeitsrecht der Bürgerinnen und Bürger eingegriffen werden. Darüber hinaus sollen Hinweise auf Überwachungsmaßnahmen unter bestimmten Voraussetzungen entfallen können. Diese Vorschläge lassen sämtliche datenschutzrechtliche Grundprinzipien völlig außer Acht.

2. Niemand soll anlasslos verdächtigt werden!
Die Initiatoren möchten es der Polizei mit dem Gesetzesentwurf ermöglichen, für einen pauschalen Zeitraum von mindestens einem Monat anlasslos umfassendes Bild- und Tonmaterial zu speichern. Solche Maßnahmen stellen alle Berliner Bürgerinnen und Bürger in Generalverdacht. Verfassungsrechtlich ist eine solche Speicherung von Daten auf Vorrat höchst bedenklich.

3. Videoüberwachung macht die Stadt nicht sicherer!
Die Initiative hat zum Ziel, Berlin sicherer zu machen. Mehr Kameras tragen dazu nicht bei. Gewalttäter, die im Affekt handeln, lassen sich von einer Kamera nicht abhalten. Terroristen könnten sich durch sie gar angespornt fühlen. Aber auch Kriminelle, die ihre Taten vorab planen, werden durch den Einsatz von Überwachungskameras nicht von ihrem Ansinnen absehen, sondern Mittel und Wege finden, der Überwachung zu entgehen (z. B. durch einfaches Verhüllen des Gesichts durch Kapuzen oder Ähnliches).

4. Auch wer nichts zu verbergen hat, ist betroffen!
Gerne wird argumentiert, wer nichts zu verbergen hat, habe auch nichts zu befürchten. Das ist falsch. Insbesondere der Einsatz von sog. intelligenter Überwachungstechnik könnte künftig auch unbescholtene Bürgerinnen und Bürger in die Gefahr bringen, sich verdächtig zu machen, indem sie sich scheinbar ungewöhnlich verhalten oder sich zufällig in der Nähe von Straftätern aufhalten. So kann z. B. häufiges Rolltreppenfahren an Bahnhöfen als auffällig eingestuft werden, da sich auch Taschendiebe entsprechend verhalten; auch ein längeres Warten auf eine Verabredung könnte problematisch werden. In Kombination mit der Abspeicherung biometrischer oder in sonstiger Weise personenbeziehbarer Daten können Menschen so unvermittelt als verdächtige Person gelten und ins Fadenkreuz von Ermittlungen geraten.

5. Lauschangriff auf Berlin!
Das Bündnis sieht nicht nur den vermehrten Einsatz von Videoaufnahmen vor. Öffentliche Orte, wie Verkehrsmittel, Gerichte, Religionsstätten und Friedhöfe sollen künftig auch akustisch überwacht werden dürfen. Der Gesetzeswortlaut lässt theoretisch auch eine Überwachung von Einkaufszentren, Kaufhäusern, Restaurants, Schwimmbädern, Museen und sogar Privatgebäuden und -geländen von öffentlichem Interesse zu. In weiten Bereichen der Berliner Innenstadt könnten Bürgerinnen und Bürger sich dann nicht mehr sicher sein, wer ihnen wann zuhört.

6. Identitätsdiebstahl kann lebenslange Folgen haben!
Das Bündnis will die Entwicklung sog. intelligenter Videotechnik fördern. Darunter fallen auch Verfahren, die mit biometrischen Daten arbeiten, wie die automatische Gesichtserkennung. Die Risiken dieser Technik sind gravierend. Anders als z. B. Passwörter sind biometrische Daten nicht veränderbar. Geraten sie einmal in die falschen Hände, kann das für die Betroffenen lebenslange Folgen haben. Im Besitz biometrischer Daten könnten Kriminelle auch noch nach Jahren Online-Einkäufe auf Kosten der Opfer tätigen oder sich Zugang zu fremden Systemen verschaffen.

7. Die Missbrauchsgefahr ist real!
Je mehr Daten erhoben und je länger sie gespeichert werden, desto mehr steigt auch die Gefahr des Missbrauchs. Große Datenhacks in der Vergangenheit, z. B. im Telekommunikationsbereich, haben gezeigt, wie anfällig technische Systeme für unerlaubte Zugriffe sind. Insbesondere biometrische Daten sind aufgrund der mit ihnen verbundenen eindeutigen und regelmäßig unabänderlichen Zuordnungsmöglichkeit zu den Betroffenen als äußerst sensibel einzustufen. Ihre Erhebung und Speicherung ist daher nur innerhalb enger verfassungsrechtlicher Grenzen zulässig.

8. Die Datenschutzaufsicht ist und bleibt unabhängig!
Mit dem vorgeschlagen Gesetz soll ferner ein öffentliches Institut für Kriminalprävention gegründet werden. Unter der Aufsicht der für Forschung zuständigen Senatsverwaltung soll dieses Institut unter anderem Bürgerinnen und Bürger in Sachen Datenschutz beim Einsatz von Videotechnik beraten und Auskunft über die Anwendbarkeit der datenschutzrechtlichen Normen erteilen. – Eine systematische, wissenschaftlich fundierte Überprüfung des bisherigen Einsatzes von Videoüberwachungsmaßnahmen in Berlin ist zwar durchaus wünschenswert, sie muss aber ergebnisoffen und durch unabhängige Einrichtungen erfolgen. In der vorgeschlagenen Form unterliegt die Errichtung des vorgeschlagenen Instituts nachhaltigen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Datenschutzberatung ist nach höherrangigem Recht eine Kernaufgabe der Datenschutzaufsichtsbehörden. Deren Unabhängigkeit ist verfassungsrechtlich und europarechtlich geschützt.

9. Es fehlt schon an der Gesetzeskompetenz!
Durch die Ausweitung der Videoüberwachung soll insbesondere die Verfolgung von Straftaten verbessert werden. Dieses Anliegen kann jedoch nicht mit einem Berliner Volksbegehren durchgesetzt werden. Die Aufgabe der Strafverfolgung ist der Berliner Polizei durch die Strafprozessordnung, also ein Bundesgesetz, zugewiesen. Auf Grundlage des Berliner Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes kann die Polizei ausschließlich im Rahmen der Gefahrenabwehr Maßnahmen treffen, die für die Verfolgung von Straftaten vorsorgen. Eine Regelung zur anlasslosen Überwachung zum Zweck der Strafverfolgung ist im Polizeirecht ausgeschlossen.

10. Es geht um viel mehr…
Bei der Frage, ob die Initiative unterstützt werden sollte, geht es nicht bloß um die Entscheidung über ein paar Kameras mehr oder weniger. Die Debatte wirft vielmehr die Frage auf, wie wir künftig leben wollen. Der politische Trend, als Reaktion auf die Probleme in unserer Gesellschaft die Überwachungsinfrastruktur immer weiter auszubauen, ist ein zweifelhafter Ansatz. Anstelle Probleme von der Wurzel her anzugehen und Fragen nach den Ursachen zu stellen, werden elementare Grundfreiheiten unserer demokratischen Gesellschaft zur Disposition gestellt.

Maja Smoltczyk:
„Ob und inwieweit Freiheitsrechte eingeschränkt werden dürfen, um Straftaten vorzubeugen oder aufzuklären, bedarf einer sachlichen, öffentlichen Diskussion und einer sorgfältigen Abwägung aller betroffenen Aspekte. Wer solche Maßnahmen jedoch in einem Gesetzesentwurf mit dem Titel „mehr Sicherheit und mehr Datenschutz“ verpackt, verkauft dem Bürger eine Mogelpackung. Dass das vorgeschlagene Gesetz zu mehr Sicherheit führt, ist mehr als zweifelhaft. Dass es mit dem Datenschutz nicht vereinbar ist, steht fest.“ (fl)

Quelle:

Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Pressemitteilung vom 13.09.2017